Um 10:58 Bordzeit war es endlich so weit. Elena war die erste, die im Nebel am fernen Horizont die Umrisse der ersten schottischen Inseln entdeckte. Nach einer Nacht, in der Wind und Welle noch mal weiter zugenommen hatten, ein mehr als willkommener Anblick. Nicht nur das Energie-Level der Crew ist mittlerweile mitgenommen, auch die Schadensliste der guten Elmy wächst. Unser Großsegel können wir aufgrund einiger kleinerer Schäden schon längere Zeit nur noch im 1. Reff nutzen. Vor einigen Tagen musste unsere treue Autopilotin Gertrud schwer verletzt den Dienst einstellen. Glücklicherweise verfügen wir über ein redundantes System und so schnurrt nun der rustikale Günther im Salon. Gestern hat sich dann auch noch der Keilriemen unseres Wellengenerators verabschiedet – unser Hauptlieferant regenerativer Energie fällt somit auch aus. Zum Glück haben wir noch mehr als genug Diesel für unseren Generator. Während wir uns Schottland immer weiter nähern, lässt sich ab und zu sogar die lange vermisste Sonne blicken, als würde sie uns willkommen heißen.
Damit sind wir auf der Zielgeraden angekommen. Bis zum Zielhafen müssen wir uns noch zwischen den Inseln hindurch schlängeln. Die finale Ankunft ist für morgen (Donnerstag) geplant.
Von links nach rechts…von rechts nach links…und wieder von vorne. In etwa so geht es die ganze Nacht und das seit 3 Tagen. Eine gute Schlafposition zu finden ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, was sich inzwischen in einem gehörigen Schlafdefizit (auch bei den guten Schläfern) niederschlägt. Das ist der Preis dafür, dass Wind und Welle uns seit Tagen konstant von achtern treffen. Andererseits ermöglicht es uns die Wetterlage direkten Zielkurs und das mit ordentlich Speed zu fahren. An Deck bietet sich zudem ein beeindruckendes Schauspiel. Sobald wir in die Wellentäler eintauchen, verschwindet kurzzeitig der Horizont und wir sehen nur noch die näher kommende Wasserwand. Langsam werden wir angehoben, bis uns die Welle schließlich beschleunigt und Elmy wieder ein Stück näher in Richtung der schottischen Küste spült. Seit Tagen kämpfen wir zudem mit einem riesigen Topf Chili sin Carne, der einfach nicht leer werden möchte. Allen Widrigkeiten zum Trotz kommt die Küste langsam in Reichweite. Morgen (Mittwoch)Vormittag sollten wir die ersten Inseln erreichen. Danach sind es voraussichtlich weniger als 24h bis zu unserem Zielhafen.
Von mehreren Seiten erhalten wir die Info, dass ein weiteres Sturmtief auf uns zu hält. Böen von bis zu 60kn sind angesagt. Einmal mit dem Atlantik kämpfen? Klingt verlockend! Aber muss es gleich so extrem sein?
Wir nutzen die Flaute und das schöne Wetter, um noch mal durch zu schnaufen, aber wollen gleichzeitig so viel Strecke zurück legen, wie es nur geht, um dem Sturm vielleicht doch noch zu entgehen.
Der Wind nimmt immer mehr zu. 20 kn, dann 25 kn, 30 kn, 35 kn. Die Wellen werden höher, türmen sich hinter uns auf und die Segelfläche wird immer kleiner. Das Besan-Segel wird recht früh eingepackt, die Genua verkleinert, das Groß vom 1. ins 3. Reff reduziert, dann ebenfalls eingepackt. Jetzt steht nur noch die eine kleine Ecke der Genua und treibt uns über den Ozean. Wie geht es wohl weiter? Unter Deck haben wir noch eine Sturmfock, die kleiner und noch stabiler ist und die wir am Kutterstag hochziehen können. Wie es wohl wird, wenn der Wind noch mehr zu legt? Unsere Fantasie blüht auf:
Riesige Wellenberge türmen sich auf, brechen über dem Boot. Manche treiben uns mit enormer Geschwindigkeit nach vorne, andere drehen uns so, dass die nächste Welle von der Seite auf uns zurollt und uns quer legt. Das Meer ist grau mit weißen Schaumkronen. An manchen Stellen sieht es aus, als würde es kochen, so sehr brodelt es. Die dunklen Wolken lassen kein Sonnenlicht durch und bringen zusätzlich noch Regen. Die Crew verzieht sich unter Deck, um hier bei heißem Tee dem Wetter zu entkommen und nicht auszukühlen. Nur einer von uns muss immer wieder hoch, Ausguck halten und prüfen, ob noch alles im Lot ist. Zu Beginn steuert unser Autopilot fleißig durch die Wellen. Doch dann das beunruhigende Alarmsignal: Jetzt heißt es selber segeln, selbst steuern. Zum Glück haben wir kurze Schichten und können uns so immer wieder abwechseln. Von unten wird man mit heißen Getränken versorgt und endlich kommt auch unsere Sturmsuppe zum Einsatz. Wer hatte eigentlich die glorreiche Idee, im Sturm Suppe zu essen, während es uns hin und her schleudert und nichts an seinem Platz stehen bleibt? Aber auch wenn der ein oder andere Schluck daneben geht, tut die heiße Brühe richtig gut. Und das wichtigste: Die Stimmung ist weiterhin gut! Zwar muss das (oder die) ein oder andere Crewmitglied etwas öfter nach frischer Luft schnappen als die anderen, aber zwei Wochen auf See helfen uns allen. Und hinzu kommt der Ausblick, dass der Wind uns stetig nach Schottland prügelt und wir bei dem Tempo schon bald ankommen.
So in etwa hätte es uns vielleicht ergehen können. Vermutlich nicht ganz so rosig, sondern etwas wilder, ermüdender und auch zermürbender. Aber dank unserer Wetterfee Lisa und all den guten Wünschen von zu Hause, sind wir dem Tief davon geeilt und kommen weiterhin ohne Mast- und Schotbruch Schottland deutlich entspannter entgegen. Auch wenn wir zwischendurch tatsächlich bis zu 35 kn Wind hatten und die Wellen deutlich größer geworden sind, kommt es uns gerade verhältnismäßig entspannt vor. Bis auf die Genua sind alle Segel eingepackt, wir fahren direkten Kurs aufs Ziel und sind fasziniert, dass auch die Seevögel um uns herum völlig entspannt die Wellen absurfen.
(Für diesen Herzinfarkt-Artikel verantwortlich: Elena)
Anmerkung Jenny:
Der stärkste Sturm kommt hoffentlich erst, wenn sie bereits im sicheren Hafen sind.
Schon seit der Abfahrt in Halifax ticken die Uhren an Bord anders. Da wir auf unserer Route nicht nur einiges an Strecke zurücklegen sondern auch mehrere Zeitzonen durchqueren, haben wir unsere Uhren auf UTC+0 eingestellt. Damit wollen wir das ständige Umstellen der Uhren vermeiden und auch die Kommunikation mit unserer Wetterfee vereinfachen. In der Folge ergab sich vor allem in St Johns ein wilder Mix bei der Frage nach der richtigen Uhrzeit. Reden wir gerade von UTC, der Zeit zu Hause oder local time (die ggü Halifax zu allem Überfluss auch nochmal um 30min verschoben war)? Das Verstellen der Uhren hat zur Folge, dass Mahlzeiten zu ungewöhnlichen Uhrzeiten eingenommen werden. Auch eine Orientierung an der Sonne hat sich erübrigt. Wirklich dunkel ist es nur wenige Stunden in der Nacht. Inzwischen leben wir daher vor allem nach dem Takt unserer Schichten. Dies hat zur Folge, dass das allgemeine Frühstück oft erst gegen 12 Uhr eingenommen wird. Im Zweifel siegt aber auch das Hungergefühl, das unzweifelhaft von einem unserer Mägen ausgerufen wird.
Für alle, die dachten, sie würden keine Strecke mehr machen oder hätten den Anker geworfen… Das GPS-Gerät war ausgegangen 🤷♀️
Und -ZACK- plötzlich sind sie am anderen südlichen Ende von Island. Die aktuelle Ankunftszeit wird voraussichtlich die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag sein. Der angepeilte Ort ist Oban. Ob sie dort nachts einlaufen können oder noch eine Nacht vor Anker liegen werden, müssen sie dann zu gegebener Zeit sehen.
Zum Start unserer Überfahrt in St Johns zeigte unser Plotter eine Entfernung von etwa 1750sm bis nach Schottland. Zwei Wochen, 1500 gesegelte Meilen und viele Erfahrungen später, haben wir inzwischen die Marke von 500sm bis zum Ziel geknackt. Das Ende unserer Reise kommt somit in Sicht. Aus diesem Anlass beginnt nun auch die Diskussion, ob wir direkt unseren Zielhafen Fort William anlaufen oder die verbleibende Woche noch dazu nutzen die vorgelagerten Inseln zu erkunden. Dabei müssen wir feststellen, dass unsere Entscheidung und Segelmotivation vor allem von der aktuellen Wetterlage abhängig ist. Gerade genießen wir das sich uns bietende Schauspiel der sich immer wieder aufbauenden Wellenberge, die wir mehr oder weniger gemütlich hinauf und wieder hinab surfen. Nach einigen Tagen mit eher wenig Wind oder vorherrschendem Gegenwind in denen wir nur langsam voran gekommen sind, geht es nun flott der europäischen Küste entgegen. Wohin uns der Wind noch genau treiben wird, werden die nächsten Tage zeigen.
Abgesehen von einem freundlichen Tanker, der sich bei unserer nächtlichen Begegnung über Funk nach unserem Wohlergehen erkundigte, konzentriert sich der zwischenmenschliche Austausch in den letzten Tagen vor allem auf uns. Von der Auẞenwelt sind wir ansonsten weitestgehend abgeschnitten. Während dies einerseits die positive Nebenwirkung mit sich bring, deutlich weniger Zeit mit dem Daddeln am Handy zu verbringen, fehlen uns andererseits auch wichtige Infos in Bezug auf die uns umgebende Wetterlage. Hier kommt Lisa ins Spiel. Mehrmals täglich klingelt unser Garmin und kündigt neue Wetterinfos aus der heimatlichen Wetterzentrale an. Mit Ihr diskutieren wir die Lage der nächsten Tiefdruckgebiete und besprechen die verschiedenen Routingoptionen. Mit dabei sind auch immer einige aufmunternde Nachrichten. In diesem Sinne ein ganz fettes DANKESCHÖN nach Hause an unser 5. Crew-Mitglied und gute Wetterfee Lisa.
Ein Tag (26.6) unserer Überfahrt sollte aus speziellem Anlass noch hervorstechen: Elenas Geburtstag. Ihr erster Wunsch wurde prompt erfüllt und so zeigte sich nach einigen grauen Tagen endlich mal wieder die Sonne. Auch der seit Tagen vermisste zweite Pantoffel wurde pünktlich wiedergefunden und feierlich überreicht. Unter Anleitung von Chefkoch Luki legte sich die inzwischen eingespielte Küchen-Crew zudem besonders ins Zeug. So wurden ein Geburtstagskuchen (der wohl etwas zu viel Salz aus dem Atlantik angenommen hatte) und zum krönenden Abschluss Pfannen-Pizza in der Outdoor-Küche gezaubert.
Mittlerweile verschwimmen die Tage zunehmend. Im Gegensatz zu den ersten Tagen kommt der Wind nun allerdings meist von vorne, was unseren Fortschritt in Richtung Europa etwas verlangsamt hat. Neben der Abwechslung, die sich uns durch die unterschiedlichen Wellen bietet, gibt es auch immer wieder tierischen Kontakt. Ein (Buckel?)Wal zeigt sich nur 10m von uns entfernt und begleitet uns ein Stück. Ebenso tauchen immer wieder Delfine in unterschiedlicher Anzahl auf. Auch an der Angel geht es weiter zur Sache. Die Möwen 3 und 4 werden erfolgreich und unverletzt befreit. Ansonsten bleibt der Haken leider leer.
Die Crew dümpelte in einer Flaute. Daher kamen sie die letzten Tage kaum voran. Laut Mattis konnten sie das aber ganz gut genießen und haben anständig geschlafen. Seit einigen Stunden ist der Wind zurück und sie sind wieder auf direktem Kurs nach UK.
Ein Wal war wohl neben dem Boot zu bestaunenund die Sonne ließ sich ab und an, wenn auch selten, blicken.